Regensburg, 22.07.2022
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Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Guérot,
Wir, der Verein Junges Europa
e.V., setzen uns seit 1999 zum Ziel, für ein geeintes, solidarisches Europa und
die damit unmittelbar verbundenen, demokratischen Werte einzustehen. Als Fürsprecher
des europäischen Projektes versuchen wir immer wieder, durch Veranstaltungen
und Öffentlichkeitsarbeit den regen Diskurs über die Europäische Union auf
produktive Weise zu bereichern, das Projekt EU den Menschen nahezubringen und
somit einen Beitrag zu eben diesem zu leisten. Als wir Sie 2019 zu unserer
Schirmherrin gewählt haben, vertraten Sie unserer Ansicht nach genau dieses
Engagement, das uns am Herzen liegt – Sie zeigten sich stets als Befürworterin
des europäischen Gedankens, gingen mit progressiven Ideen und teils provokanten
Argumenten voran und hielten immer an Ihrer Arbeit hinsichtlich einer konkreten
Zukunftsvision für eine starke EU fest.
Es ist uns als Verein bei allen
unseren Podiumsdiskussionen besonders wichtig, den demokratischen Diskurs und
das Hören unterschiedlichster kontroverser Stimmen als das höchste Gut zu
betrachten. Ein solcher Diskurs muss dennoch unbedingt gewisse Ansprüche
erfüllen. Wir möchten hier gerne Bezug nehmen auf das historische Versprechen
der liberalen Demokratie, das in der Eindämmung politischer Willkür durch eine
kommunikative Rationalisierung demokratischer Macht und Herrschaft bestand und
somit gleichzeitig auch eine Demokratisierung des öffentlichen Diskurses
beinhaltete. Dies schließt erst einmal keine Stimmen aus, fordert jedoch
notwendigerweise eine Fundiertheit sowie Rationalität der im Rahmen einer
Debatte getroffenen Aussagen.
In Anbetracht dessen können und
wollen wir Teile Ihrer öffentlichen Äußerungen aus den letzten zwei Jahren
nicht länger unkommentiert lassen. Denn im Lichte des soeben beschriebenen
Fundaments unserer europäischen Demokratien stoßen so manche Aussagen, die
Ihrerseits entweder aus dem Kontext gerissen, der Hate-Speech nahestehend oder
schlicht wissenschaftlicher Fundierung entbehrend scheinen zum einen auf
Unverständnis in unserem Verein und tragen zum anderen in unseren Augen zur
Verrohung des europäischen Diskurses bei.
Im Zuge der Corona-Pandemie sprachen Sie sich beispielsweise auf Twitter
mehrfach für die Abschaffung der FFP2 Masken-Pflicht aus, da diese Ihrer
Meinung nach nichts helfe, obwohl die große Mehrzahl wissenschaftlicher Studien
das genaue Gegenteil beweisen. Leider können wir kein explizites Datum dieses
Tweets nennen, da Sie keinen unserer Mitglieder in Twitter annahmen.
Ein anderes Beispiel zu diesem
Thema bietet Ihre Aussage vom 8. Juli 2022 in
einem YouTube-Interview beim Argumentorik-Kanal,
in dem Sie auf eine Studie des British
Medical Journal (BMJ) verweisen, welche nach Ihrer Aussage bescheinige,
dass die Folgen der Corona-Impfung schlimmer seien als die einer
Corona-Infektion. Auf welchen Impfstoff Sie sich hier beziehen und welche
Virusvariante untersucht wurde, bleibt in diesem Wortbeitrag aber offen – so
auch die Suche nach besagtem Artikel auf der BMJ-Seite.
Dagegen konkludiert ein im Januar 2022 erschienener Beitrag des BMJ zum Thema
Nebenwirkungen von Impfstoffen: „11 published clinical trials of COVID-19
vaccines included in the study, adverse reactions reported were considered mild
to moderate with few severe reactions which were unrelated to the test vaccine“
(BMJ, 10.01.22: 5). Darüber hinaus unterstreicht dieses Paper bereits auf der
ersten Seite die medizinische Notwendigkeit der Impfung zur Kontrolle der
Corona-Pandemie.
Diese sowie weitere die
Corona-Pandemie betreffende Äußerungen, die von Ihnen über Twitter, in
Interviews und auf anderen öffentlichen Kanälen geteilt wurden, spiegeln für
uns keineswegs einen konstruktiven Beitrag zum öffentlichen Diskurs – der
sicherlich auch immer regierungskritisch sein kann und soll – wider. Die Linie
der Corona-Politik soll natürlich kritisiert werden dürfen, aber Aussagen, die
Falschinformationen beinhalten und aus dem Kontext gerissen oder nur pointiert
wiedergegeben werden, entziehen dem Diskurs und damit auch jeder fundierten
Kritik den Boden. Auch
Reproduktionen von gängigen Verschwörungsnarrativen mit Corona-Bezug (so
beispielsweise die Forderung, die USA sollen sich um Bill Gates “kümmern”) bewerten wir nicht als dienlich. Zudem stießen Ihre
Twitter-Posts über die Forderung eines „Fauci-Tribunals” oder ähnliche der
Hassrede nahestehende Aussagen, unter anderem mit historischen Anleihen aus der
NS-Zeit, bei uns im Verein auf Unverständnis.
Ein Bekenntnis zum Prinzip der
Solidarität, die Sie in einem Welt-Interview vom 30. Dezember 2021 „als linkes
Ideal“ abwerten, die in unserem Verständnis allerdings nicht konträr zur
liberalen Eigenständigkeit und Eigenverantwortung, sondern als diese ergänzend
betrachtet wird, und auch auf europäischer Ebene einen hohen ideellen
Stellenwert einnimmt, ließen Sie darüber hinaus in vielen Beiträgen vermissen.
Einer
Kritik oder einem Argument stehen wir nicht feindlich gegenüber, wie zahlreiche
unserer Veranstaltungen und deren Podiumszusammensetzung zeigen. So fällt auch
unsere Meinung über Ihre Argumente bei Markus Lanz bezüglich des russischen Angriffskrieges
dementsprechend aus. Uns geht es also nicht darum, gegenteilige
Meinungen zum Thema Waffenstillstand, möglichen Verhandlungen oder der Rolle
der NATO abzutun. Verunsichert hat uns jedoch, dass die EU als souveräne
Institution in Ihren Wortbeiträgen keinerlei Erwähnung fand. Trotz Ihrer für
gewöhnlich ausgesprochen pro-europäischen Haltung, die wir mit Ihnen immer
teilten, ließen Sie die Union und deren Handlungsspielräume vollständig außen
vor und fokussierten sich während der Diskussion auf die USA als scheinbar
alleinigen Vertreter westlicher Belange. Auch wenn diese Auffassung unter
Umständen in einer Gegenwartsanalyse und entsprechend gewählter Perspektive
zunächst zutreffend erscheinen kann, bildet die Europäische Union doch eine
eigene, aktiv handelnde Instanz. Dies weiterführend sehen wir also auch die EU
in der Verantwortung, für eine Externalisierung unserer Werte zu sorgen, damit
diese nicht, wie auch in der Flüchtlingskrise, an den EU-Außengrenzen Halt
machen. Bei einem Angriffskrieg, in dem Mittelstreckenraketen nur wenige
Kilometer von den europäischen Außengrenzen entfernt einschlagen, nachgewiesene
Kriegsverbrechen begangen werden und die Aufnahme mehrerer Millionen
Kriegsflüchtlinge in EU-Staaten realisiert wird, kann die Europäische Union als
Akteur daher nicht ignoriert werden. Kein anderes Ereignis der letzten Dekade war zudem für das europäische
Projekt so zutragend und veranschaulichte die Existenz gemeinsamer europäischer
Wertvorstellungen so eindringlich, wie die Entwicklungen auf dem Euromaidan
seit 2014. Aus diesem Grund müssen Kiew und die EU zwingend an allen
Verhandlungen teilhaben, um eine langfristige Lösung im Einvernehmen mit der
ukrainischen Souveränität und ihrer europäischen Zukunft zu finden.
Mit diesem offenen Brief möchten
wir uns direkt an Sie wenden in der Hoffnung, Sie können nachvollziehen, warum
Ihre oben aufgeführten Aussagen innerhalb unseres Vereins auf Kritik und
Irritation stießen. Im Nachgang an unsere ausführliche vereinsinterne
Diskussion bezüglich der genannten Punkte erhoffen wir uns nun, mit einer
entsprechenden Stellungnahme Ihrerseits rechnen zu können. Wir stehen dabei
immer und jederzeit für einen offenen Austausch mit Ihnen bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Junges Europa e.V.